Inhaltsbereich

Menschen, Tiere, Sensationen - der alte Krefelder Tiergarten

Veröffentlicht am: 27.12.2023

Der Weiher im Alten Tiergarten mit der Bärenhöhle im Hintergrund. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Der Weiher im Alten Tiergarten mit der Bärenhöhle im Hintergrund. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv„

Krefelds alter Tiergarten

Des nach Tausenden zählenden Publikums hatte sich während des Vorgangs eine große Aufregung bemächtigt. Viele Frauen fielen in Ohnmacht." Gebannt schauen die Menschen im Krefelder Tiergarten gen Himmel. Bei ihrem letzten Sprung an jenem Tag löst sich der Fallschirm von „Miss Polly" nicht richtig aus, sondern bleibt an der Gondel des Fesselballons hängen. Hilflos hängt sie in der Höhe am Ballon. Ihr Kollege in der Gondel bringt das Gefährt rasch nach unten. Dabei gelingt es „Miss Polly", eines der herunterhängenden Schleppseile zu fassen. „An diesem ließ sie sich unter Einbüßung der Haut der Handflächen zur Erde hinabgleiten", berichtet eine Zeitung. Unglücklicherweise landet die Artistin aber nicht auf dem Boden, sondern in einem Baum. Nach ihrer erfolgreichen Bergung wird sie zwar bewusstlos und leicht lädiert, aber lebendig davongetragen. Das Ereignis löst derweil unter den Zuschauern eine Panik aus. Scharenweise werden Absperrungen vom aufgeregten Publikum überklettert. Die an den Tiergarten grenzenden Grundstücke werden dabei zum Teil verwüstet.

Der Tiergarten war der Treffpunkt der Krefelder Gesellschaft

Dieses dramatische Ereignis beobachten zahlreiche Krefelder vom Gelände des Tiergartens, dem Treffpunkt der Krefelder Gesellschaft. Gelegen an der Landstraße nach Uerdingen war es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Vergnügungsstätte. Exotik, Romantik, wilde Tiere, Musik und Tanz - wer sich amüsieren wollte, fuhr vor die Tore der Stadt. Sonntags rumpelten die Droschken, die 1883 durch die Dampfbahn nach Uerdingen Konkurrenz erhielten, über das holprige Pflaster der Rheinstraße hinaus zum Tiergarten, um sich dort gut unterhalten zu lassen.

Werbeanzeige für eine Veranstaltung im Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Werbeanzeige für eine Veranstaltung im Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

Ein Teil von "Eichenau" ist heute Teil des Kinderheims Kastanienhof

Der Bankier Gustav Molenaar (1811-1864) kaufte 1861 das zwischen Uerdinger, Tiergarten-, Schönwasser- und Grenzstraße gelegene Areal, ein aus Busch und Ödland bestehendes Gelände, und ließ es durch den Gartendirektor Joseph Clemens Weyhe (1807-1871), Sohn des Schöpfers des Düsseldorfer Hofgartens, zu einer großzügigen Parkanlage gestalten. Die Besitzung nannte er „Eichenau", in deren Zentrum er ein Herrenhaus im italienischen Landhausstil errichten ließ - es steht noch heute als Teil des Kinderheims Kastanienhof. Ein Weiher bildete den Mittelpunkt des mit geschwungenen Wegen, Baumgruppen und Rosenbeeten gezierten Parks. Aus dem nördlichen Teil des Landsitzes entstand dann 1879 der „Thiergarten". Der Färbereibesitzer Carl Müller-Küchler kaufte das Areal und eröffnete den Freizeitpark mit Restaurant und einigen Tiergehegen.

Der Eingang zum Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Der Eingang zum Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

Diese Tiere lebten im Tiergarten

Für den Sommer 1880 ist schon ein stattlicher Tierbestand belegt: ein paar mittelgroße Affen, ein Paar Pinseläffchen, ein Löwe und eine Löwin, Wölfe mit sechs Jungtieren, zwei junge Füchse, ein Bärenpaar, ein Dachs, fünf Damhirsche, zwölf Shetlandponys, ein Fuchskusu (australisches Beuteltier), zwei Nasenbären, Wildschweine, Meerschweinchen, Kaninchen, Möpse, zwei Steinadler, eine Gabelweihe, Schleiereulen und Steinkäuze, zwei Fischreiher, Schwäne, Gänse, Enten und Hühnervögel, darunter Fasane und Tauben, Papageien und griechische Landschildkröten. Besonders die Affen hatten es wohl den Besuchern angetan, die sie mit Früchten und Mehlwürmern fütterten. Über allem thronte Pascha, der Löwe, der „allgemeine Liebling des Publikums", wie eine Zeitung schilderte. Seine Gefährtin wurde in Berichten der Zeit eher als missmutig beschrieben. Damit die Besucher mehr über Tiere und Pflanzen erfuhren, informierten Tafeln im Park über deren Art und Herkunft.

Die beiden Löwen im Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Die beiden Löwen im Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

Buffalo BIlld, Ballonaufstieger und Luftakrobaten

Menschen, Tiere, Sensationen - unter diesem Motto erwartete kleine und große Besucher im Tiergarten stets ein abwechslungsreiches Programm, unter anderem gastierte dort Buffalo Bill mit seiner Wildwest-Show. Die Ballonaufstiege von „Miss Polly" und anderen Luftakrobaten lockten als beliebte und aufregende Attraktion immer wieder die Massen in den Park. Zudem wurden dort Motto-Kinderfeste veranstaltet, Ponyreiten, romantische Kahnfahrten um die Venusgrotte, im Winter wurde Schlittschuh gelaufen auf dem zugefrorenen Weiher. An lauen Sommerabenden erfreuten sich die Menschen an dem illuminierten Park, Liebespaare - oder die es werden wollten - schlenderten auf der „Seufzerallee". Ferner gab es eine überdachte Rollschuhbahn und eine Konzerthalle, in der auch Ensembles des Stadttheaters auftraten. Festliche Illumination der Anlagen, Gondelfahrten bei bengalischem Feuer, Fahnen- und Fackelumzüge sowie Feuerwerke zogen regelmäßig Publikum an. Zudem gastierten im Tiergarten Attraktionen der damaligen Zeit, wie der Trapezkünstler Monsieur Wilson und die exotische „Möllersche Nubierkarawane" mit Giraffen und Elefanten. Militärkapellen aus nah und fern spielten zum Nachmittagskonzert oder Tanz auf.

Die Konzerthalle im Alten Tiergarten. Foto. Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Die Konzerthalle im Alten Tiergarten. Foto. Stadt Krefeld, Stadtarchiv

Vor dem Ersten Weltkrieg schloss der Tiergarten

Die aufregenden Zeiten an der Uerdinger Straße endeten jedoch noch vor dem Ersten Weltkrieg. Der Betrieb lohnte sich nicht mehr. Der Tierbestand wurde so weit wie möglich verkauft. Nur zwei Braunbären blieben übrig. Sie fanden ein unrühmliches Ende als Festbraten bei einem der letzten Gala-Diners in dem dortigen Restaurant. Die Eheleute Ernst Kniffler, in deren Besitz die Anlage 1887 übergegangen war, vermachten das Grundstück durch zwei Schenkungen in den Jahren 1916 und 1918 dem Krefelder Frauenverein zur Errichtung eines Säuglingsheims. Es wurde erst 1954 gebaut, heute ist auf dem Areal das Kinderheim Kastanienhof. Unweit des alten Tiergartens wurde 1938 der heutige Zoo eröffnet.

Eines der Tierhäuser im Alten Tiergarten. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Eines der Tierhäuser im Alten Tiergarten. In der Mitte ist ein Bär zu erkennen. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

Das ist heute noch vom Gelände übrig

Vom alten Tiergarten ist fast alles verschwunden. Der Weiher wurde zugeschüttet. Die Gebäude sind bis auf das Haupthaus und die Bärenhöhle beziehungsweise Venusgrotte abgerissen. Die Grotte wurde im April 1991 in die Krefelder Denkmalliste eingetragen. Von der Straße nicht sichtbar, liegt sie inmitten des mit einem alten Baumbestand versehenden Karree Uerdinger, Schönwasser-, Tiergarten- und Kaiserstraße. Der künstliche Felsen aus Lavagestein wurde mal als Bärenhöhle, mal Venusgrotte bezeichnet. Damals wie heute steht ein Pavillon auf dem Felsen.

Der Weiher im Alten Tiergarten mit der Bärenhöhle im Hintergrund. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Der Weiher im Alten Tiergarten mit der Bärenhöhle im Hintergrund. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

 

Weitere Beiträge zum historischen Krefeld:
Stadtarchiv Krefeld erhält einen Foto-Schatz für seinen Bestand
Fotoalbum des ehemaligen Oberbürgermeisters Johannes Johansen mit bislang unbekannten Aufnahmen aus Krefeld.
Stellen das Fotoalbum vor (v.l.): Roswita Engels und Renate Rommel-Hohneck, Archiv-Mitarebiterin Fenja Schneiders und Dr. Olaf Richter, Leiter des Stadtarchivs Krefeld. Foto. Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, Dirk Jochmann
Rätsel um geheimnisvollen römischen Graben in Krefeld gelöst
Am Kastellareal in Gellep wurde nun von Archäologen ein weiterer Abschnitt entdeckt.
Dr. Christoph Reichmann, ehemaliger Leiter des Museums Burg Linn, und Stadtarchäologe Dr. Hans-Peter Schletter (r.) vor einem freigelegten Bereich des Grabens. Die roten Markierung wurde nachträglich für eine bessere Wahrnehmung in das Foto montiert. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, Andreas Bischof
Zehn Reichsmark für den 25-minütigen Linienflug Krefeld-Köln
Von Krefeld mit dem Flugzeug nach Berlin, London oder Venedig – das war für einige Jahre ab „Bockum-International“ möglich. So hieß der Krefelder Flughafen natürlich nicht – aber „international“ trifft die Sache schon. In den 30er Jahren gab es einen Flugplatz in Krefeld.
In Krefeld gab es in den 30er Jahren einen Flugplatz.BIld: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Stadt, Land, Fluss – Landschaft und Gewässer um 1373 in Krefeld
Es benötigt schon reichlich Fantasie, um sich ein Bild von Krefeld vor 650 Jahren vorzustellen. Das gilt insbesondere für die direkt umgebende Landschaft. Was sahen die Krefelder, wenn sie 1373 vor die Tore ihrer gerade zur Stadt erhobenen Ortschaft gingen?
Hohenzollernstraße mit Weiher um 1920. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Dokumente von Hermann von Beckerath für das Stadtarchiv
In der Mennonitengemeinde Krefeld sind rund 180 zumeist handschriftliche Zeugnisse von Hermann von Beckerath (1801-1870) vorgestellt worden. Er war 1848/1849 Abgeordneter im Paulskirchen-Parlament und in dieser Zeit auch Reichsfinanzminister.
(v.l.) Werner Batzke und Eva Herriger von der mennonitischen Gemeinde, Pfarrer Christoph Wiebe und Archivleiter Dr. Olaf Richter bei der Übergabe. Foto: Batzke