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Anekdoten

Der Name...

Der Umlegungsausschuss tritt nach dem Beschluss der Stadtvertretung 1950 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Der erste von einem Ratsherrn gestellte Antrag lautet, dem Ausschuss einen anderen Namen zu geben. Begründung: Er möchte nicht in den Verdacht geraten, jemals an Umlegungen, gleich welcher Art, beteiligt zu sein. Man könne nie wissen, ob dies nicht bei gewissen politischen Veränderungen einmal falsch ausgelegt werden könne. Erst die Versicherung, dass dieser Name schon seit der Jahrhundertwende für großflächige Grundstückstausche gebräuchlich und nun durch das Aufbaugesetz festgelegt sei, ließ ihn - wenn auch mit einigen Vorbehalten - zustimmen.

Der „Eckensteher" am Dampfmühlenweg

(Presseauszug vom 22. Mai 1954)

„Wie wir dem amtlichen Berichtsmaterial zur vorgestrigen Sitzung des Bauausschusses der Krefelder Stadtvertretung entnehmen, genehmigten die Herren dieses Gremiums auch einen Vorentwurf der Baubehörde, einige Änderungen des Durchführungsplanes im Gebiet Rheinstraße, Luisen-, St.-Anton-Straße, Bleichpfad, Philadelphiastraße betreffend. Das hört sich in der Massigkeit der hier offenbar zu bändigenden Probleme schlimm an und heißt zu deutsch etwa: In dem erwähnten Bezirk sind Umlegungsverfahren zur Gewinnung einer ordentlichen Bebauung nötig, und zwar hier an zwei Punkten im Zuge des Dampfmühlenwegs. Deshalb der Durchführungsplan, der Höhe, Bautiefe, Abstimmung untereinander usw. zu regeln trachtet. Und die Änderung besteht hier in der baulichen Beanspruchung eines Grundstücksdreiecks (nordöstliche Ecke Dampfmühlenweg - Bleichpfad), das bisher mit in die Straßenverbreiterung einbezogen war. Nun, wir wollen dem Bauherrn hier oder dem Herrn Architekten unter gar keinen Umständen auf die Zehen treten: aber dieses Dreieck verspricht, in die Straße hineinragend, eine kuriose Sache zu werden, solange jedenfalls, wie der Plan hochgehalten wird! Ein Haus als Eckensteher gleichsam an einer gewundenen Kreuzung; soll hier später einmal ein Raketenturm für die Landesverteidigung erstehen, ein Lugaus zum unbeobachteten Studium nächtlichen Krefelder Lebens oder ein Heim für Bauräte im Ruhestand, die sich auch in der Pensionierung noch der ewigen Unvollkommenheit aller Dinge ärgern wollen!?"

Hinab zu den Quellen...

Nach langen Verhandlungen werden die neuen Baugrundstücke im Felde vermessen. Dazu gehören auch Flächen eines jahrhundertelang im Familienbesitz stehenden Bauernhofes. Seine Urmessung in preußischen Ruten geht auf das Jahr 1823 zurück. Zwischenzeitlich sind Teile abgetrennt worden, ohne dass das ursprüngliche Flächenmaß auf die genaueren Meter-Messungen reduziert wurde. Jetzt „fehlen" 2.000 qm, bei 40 DM/qm sind das 80.000 DM.

Guter Rat ist teuer; der Amtsleiter selbst marschiert zum Hofbesitzer, ausgerüstet mit den Originalunterlagen von 1823. Ihr antiquarischer Wert ist nicht unerheblich. Er erklärt, erläutert, beweist... Der Hofbesitzer hält entgegen, er habe selbst eine alte Karte seines Hofes. Sie wird aus einer Truhe geholt, für die Antiquare sicher den gleichen Preis wie für die Katasterunterlagen zahlen würden. Gottlob ist beides unverkäuflich.

Und siehe da: Kataster und alte Karte stimmen überein. Die 2.000 qm sind die Genauigkeitsspanne des 80 Morgen, das heißt 200.000 qm großen Hofes. Was heute als fehlende Fläche erscheint, war 1823 eine Genauigkeitstoleranz von 1%. Für damalige Zeiten nicht schlecht. Ein Wermutstropfen nur fiel in diese Beweisführung. Die alte Karte - vom Vater übernommen - erwies sich unter den Blicken des Fachmannes als Nachdruck der 30er-Jahre. Das alte Kataster in seinen Originalen blieb tragender und glaubwürdiger Beweis.

Timofejs Datscha?

Alle warten gespannt auf das Modell zur Neubebauung des Sanierungsgebietes "Poststraße/Schwanenmarkt". Das Modell kommt: moderne, in sich geschlossene Baukörper, Flachdachkonstruktionen mit überdachter Ladenstraße, eine neuzeitliche, konzentrierte Architektur.

Einer schaut sich das Modell besonders genau an und entdeckt inmitten des Neubaublocks einen Baukörper, der statt der geplanten Flachdächer ein Satteldach trägt. Es handelt sich um das Gebäude, das - auf allen Aufnahmen des freigeräumten Sanierungsgebietes deutlich zu sehen - als einziges stehengeblieben ist und nicht abgebrochen wird.

Dem Beschauer muss wohl die Erinnerung an eine Besonderheit des Münchener Olympia-Geländes durch den Kopf schießen, als es ihm entfährt: "Ah, da haben wir sogar Timofejs Datscha".

Brot der Versöhnung

Eigentümerin des Grundstückes war eine resolute alte Dame. Ihr großer, mit Liebe gepflegter Garten war ihr Lebensinhalt. Der Bebauungsplan schnitt mit einer Erschließungsstraße in das Gelände, auf dem drei neue Baugrundstücke entstehen sollten. Der Bebauungsplan war schon auf Ablehnung gestoßen, um wie viel mehr die ersten Umlegungsverhandlungen. Nach zwei disputreichen Sitzungen war der Gesprächspartnerin klar: Es war ein ihr aufgezwungenes, aber auch ein faires Spiel. Nein, kein Spiel, es war bitterer Ernst und musste bis zu Ende durchgestanden werden. Die Straße wurde gebaut, eines der drei zugeteilten Baugrundstücke verkauft. Statt der Pflanzen gediehen nun Kinder im umgestalteten Garten. Die alte Dame war versöhnt - auch mit dem Geschäftsführer des Ausschusses. Sichtbares Zeichen war ein selbstgebackenes Brot, das er eines Tages an seiner Haustür fand. Aus der kritischen Distanz der Verhandlungspartner wurde eine respektvolle Freundschaft, die bis zum Lebensende der Dame dauerte.

Musterbücher

Die Fabrikanlagen südlich des Hauptbahnhofs mussten neuen Wohnquartieren weichen, darunter ein alteingesessener Textilbetrieb. Für die Maschinen war der Ersatzbau im neuen Gewerbegebiet konzipiert; wohin aber mit der Fülle der Musterbücher, die sich in den hohen Kellerarchiven des Altbaus stapelten? Ein Jammer wäre es, wenn die filigranen Aquarelle, die als Webvorlage ein Jahrhundert Mode widerspiegelten, untergingen. Es war ein Glücksfall, dass zur gleichen Zeit in Linn das Deutsche Textilmuseum entstand. Seine Direktorin war interessiert, dann begeistert und sie rettete beglückt die wertvollsten Bestände für das neue Museum.