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Teil 53: Krefeld ist nur noch ein Trümmerhaufen - die Zerstörung Krefelds im Juni 1943

Veröffentlicht am: 29.11.2023

„Der Tag, ein Montag, war sommerlich, blauer Himmel. Keine besonderen Ereignisse, Theatervorstellung, städtisches Leben." Diese Worte sind in einem Einsatzbericht der Feuerwehr für den 21.Juni 1943 vermerkt. Wenige Stunden später erlebte Krefeld die größte Katastrophe seit dem großen Stadtbrand im 16. Jahrhundert. Der 22. Juni 1943 wurde zum traurigsten Tag in der Geschichte der Stadt. Das alte, historische Stadtbild ging in jener Nacht unter, die Folgen sind bis heute erkennbar.

Zwischen 1940 und 1945 gab es 149 Luftangriffe

Während im Jahr 1584 die noch kleine Gemeinde im Rahmen eines politisch-konfessionellen Konflikts in Flammen aufging, war die Situation im Zweiten Weltkrieg eine andere. Die Bombardierung im Juni 1943 war nicht die erste, insgesamt hat es zwischen 1940 und 1945 149 Luftangriffe auf Krefeld gegeben. Doch keiner hatte ein so schreckliches Ausmaß wie in dieser Juninacht. Seit 1942 war das Rheinland stärker vom Krieg betroffen als das damalige übrige Reichsgebiet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die englische Kriegsführung einen Wechsel von der Zerstörung einzelner Ziele, wie Industrieanlagen, hin zur Flächenbombardierung westdeutscher, eng besiedelter Großstädte vollzogen. Neben der Zerstörung von Verkehrsstrukturen ging es um eine Demoralisierung der Zivilbevölkerung. Insgesamt wurden in Deutschland 131 Großstädte bombardiert, was insgesamt rund 465.000 Opfer forderte.

Blick vom Turm der Dionysiuskirche Richtung Westen. Foto: Stadtarchiv
Blick vom Turm der Dionysiuskirche Richtung Westen. Foto: Stadtarchiv

Die Bombardierung im Juni 1943 betraf nicht nur Krefeld

Schaden, Not und Leid in diesem Ausmaß betraf also Krefeld nicht allein. Nach den vorangegangenen Großangriffen auf Köln, Duisburg und Essen war sich auch die Bevölkerung in Krefeld bewusst, dass man mit einem größeren Angriff zu rechnen hatte. Das Ereignis in Krefeld im Juni 1943 stand in einer dichten Abfolge: am 23.6. gab es Angriffe auf Mühlheim und Oberhausen am 26.6. auf Gelsenkirchen, am 29.6. auf Köln mit jeweils 400 bis 500 Bombern). In der Nacht auf den 22. Juni starteten über 600 Flugzeuge von rund 30 englischen Standpunkten Richtung Krefeld. Sie flogen die Stadt von Norden über die Hülser Straße an. Um 1.08 Uhr wurde der Fliegeralarm ausgelöst, der eigentliche Angriff dauerte von 1.30 Uhr bis 2.46 Uhr. Ziel war das Zentrum im Bereich zwischen Bahnhof, dem heutigen Theaterplatz und der Dionysiuskirche. Auch wenn hier sehr große Schäden entstanden, wurde vor allem der nordwestliche Bezirk zwischen Friedrichsplatz und Westwall besonders getroffen. Abgeworfen wurden rund 2100 Tonnen von Minen-, Spreng-, Stabbrand- und Phosphorbrandbomben, viele davon fielen auch ins Hülser Bruch und Kempener Feld.

In dieser Nacht starben in Krefeld 1036 Menschen

Die erschütternde Bilanz der Opfer ist folgende: In dieser Nacht starben 1036 Menschen, 9349 wurden verwundet. Allein 832 Menschen starben innerhalb der Luftschutzräume, außerhalb 204. Insgesamt wurden 1045 Personen verschüttet, davon konnten 156 unverletzt und 39 verletzt geborgen werden. So gab es 850 verschüttete Tote zu beklagen, sie wurden durch Mauerwerk erschlagen, verbrannten oder erstickten. Eine Zeitzeugin, die am folgenden Mittag über den Ostwall lief, sah gegenüber der Hauptpost „Berge von verkohlten Leichen." Im Protokoll der Feuerwehr ist vermerkt, dass während des Angriffs Wasserleitungen ausfielen und ab 3 Uhr Hilfen von auswärtigen mobilen Feuerwehreinheiten aus dem Umland bis hin nach Köln angefordert wurden. Über kilometerlange Strecken wurde Löschwasser vom Rhein in die Innenstadt gepumpt, allerdings mussten auch ganze Häuserblocks wegen Wassermangels aufgegeben werden, die Wasserleitungen waren an rund 70 Stellen zerstört.

Über 6000 Gebäude wurden zerstört

72.600 Menschen wurden obdachlos, rund 19.600 Wohnungen waren zerstört. Von den Gebäuden waren 6229 völlig zerstört, 1392 schwer und 5528 mittel bis leicht beschädigt. Vernichtet waren 19 Schulen, drei Krankenhäuser und Pflegeanstalten, sowie neun Kirchen. Auch Mittelbau und Nordflügel des Rathauses, die Alte Kirche, das Stadttheater auf der Rheinstraße und die Markthalle fielen den Bomben zum Opfer. Ganze Straßenzüge, wie König- oder Rheinstraße, Ostwall und Westwall, waren vernichtet, teilweise standen nur noch die Vorderfronten. In der gesamten Innenstadt gab es kein Geschäft mehr. 244 Industriebetriebe erlitten schwere Schäden, was für mehr als die Hälfte von ihnen einen hundertprozentigen Produktionsausfall auf unbestimmte Zeit bedeutete. Damit war auch die traditionelle Textilindustrie in der Innenstadt, die dort seit dem frühen 18. Jahrhundert bestand, vernichtet. Das Gelände südlich des Bahnhofs bis zu den Edelstahlwerken war kaum betroffen. Da der Bahnhof selbst noch intakt war, geschah am folgenden Tag laut eines Zeitzeugenberichts das „Unfassbare, dass die Züge fahrplanmäßig einliefen" und „die Arbeiter, Angestellten, unsere Kaufleute, die aus Berlin zurückkamen, frühmorgens ahnungslos in einer brennenden, toten Stadt einliefen." Kurt Möhlenbeck, Sohn eines Seidenwarengroßhändlers von der Königstraße kam erst einige Tage später nach Krefeld und musste eine schreckliche Entdeckung machen: „an der noch stehenden Hauswand seines Elternhauses stand mit Kreide geschrieben: alle 3 tot, dann folgten die Namen". In einem Brief vom 27. Juni formulierte es die Zeitzeugin Maria Schusters so: „Krefeld ist nur noch ein Trümmerhaufen."

Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. am 1. Oktober 1373 in Prag wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Folge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. Der Blick in die Historie richtet sich nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds. Alle Beiträge werden unter www.krefeld.de/1373 und www.krefeld650.de veröffentlicht.

 

Alle Beiträge aus der Artikelreihe des Krefelder Stadtarchivs zum 650-jährigen Stadtjubiläum:
Teil 52: 9./10. November 1938 Die Synagoge wird zerstört
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brach der Terror mit unglaublicher Wucht über die jüdische Bevölkerung herein.
Stadtplan Krefeld. Repro: Stadtarchiv
Teil 51: 1928-30 die Häuser Lange und Esters entstehen
Die beiden nebeneinander gelegenen Villen für die Direktoren der Vereinigten Seidenwebereien (Verseidag) Hermann Lange und Josef Esters entstanden in den Jahren 1928 bis 1930.
Haus Esters. Archivfoto: Volker Döhne
Teil 50: 1923 - die Separatistenunruhen in Krefeld
Um die 350 Krefelder sollen in den zwei Wochen der separatistischen Herrschaft aktiv gewesen sein.
Nach dem Kampf der Separatisten um das Rathaus. Repro: Stadtarchiv
Teil 49: 1922 - Gründung einer literarischen Gesellschaft
Die Literarische Gesellschaft gründete sich am 27. Februar 1922 als Unterabteilung des Sprachvereins. Das Programm war ambitioniert, mindesten einmal im Monat fand ein Vortrag statt.
Das Ricarda-Huch-Gymnasium. Repro: Stadtarchiv
Teil 48: 1919 - Beginn der belgischen Besatzung
Das deutsche Kaiserreich ist beendet, der Krieg verloren. Für die Menschen folgt eine lange Zeit der Besatzung. Das Rheinland war hauptsächlich französisch besetzt. Im linksrheinischen Gebiet nahmen die Belgier den nördlichen Teil mit den Zentren Aachen und Krefeld ein.
Belgische Soldaten. Repro: Stadtarchiv

Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916. Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916.
Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

 

Informationen zur Reihe: Das Stadtarchiv blickt anlässlich des Stadtjubiläums in die Krefelder Geschichte

Prag. Freitag, 1. Oktober 1373. Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Reihenfolge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. „Das machen wir mit wissenswerten Beiträgen, aber auch mit humorvollen Geschichten", sagt Archivleiter Dr. Olaf Richter. Der Blick in die Historie richtet sich zwei Mal pro Woche nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds.