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Seltener Fund aus der Bronzezeit in Krefeld
Veröffentlicht am: 02.08.2024
„Es schaute sehr lange so aus, als ob dort nichts sei", sagt Dr. Hans-Peter Schletter. Der Krefelder Stadtarchäologe klingt noch immer etwas enttäuscht, wenn er vom Beginn der archäologischen Untersuchung auf dem Areal der neuen Feuerwache in Gellep-Stratum berichtet. Angesichts der historischen Bedeutung des Ortsteils sind Funde aus der römischen und fränkischen Zeit keine Seltenheit. „Wir haben tagelang keine einzige Scherbe gefunden", sagt der Archäologe. Dann kamen Spuren eines ersten Urnengrabs aus dem sandigen Boden zum Vorschein - plattgedrückt und in unzähligen Scherben zersprungen. Insgesamt fünf Urnengräber aus der späten Bronzezeit (1200 bis 800 vor Christus) sollten Schletter und ein Grabungshelfer entdecken. Funde aus dieser Zeit sind für die Krefelder Archäologie selten und immer etwas Besonderes. Die Grabung ist inzwischen beendet. Die Funde befinden sich für die weitere Untersuchung und Bearbeitung im Archäologischen Museum Krefeld. Das ist in vielerlei Hinsicht ein herausforderndes Puzzlespiel.
Restauratorin Eileen Wolff und Stadtarchäologe Dr. Hans-Peter Schletter bei der Grabung in Krefeld-Gellep-Stratum.
Unbekannte Verzierungen
Ein halbes Dutzend aufgeschlagener Bücher liegen auf dem Büroschreibtisch des Stadtarchäologen. Zu sehen sind detaillierte Zeichnungen von Urnen aus der Bronzezeit. Schletter interessiert sich vor allem für die Verzierungen, denn eine der gefundenen Urnen wurde mit einem bislang unbekannten Kerbschnitt-Muster dekoriert. „Dafür gibt es keine anderen Nachweise. In der Form ist es bislang nicht gefunden worden", sagt Schletter und blättert eine Buchseite um. Kein Treffer. „Das große Gefäß und die anderen Urnen wurden mit der Hand hochgezogen, nicht auf einer Drehbank. Die gab es zu der Zeit hier noch nicht", erklärt er. Der Brand der Urnen erfolgte bei niedrigen Temperaturen. Deswegen sei diese Form der Keramik sehr empfindlich. In unzählige Scherben zersprungen, haben Schletter und die Restauratorin Eileen Wolff einige Urnen deswegen sicherheitshalber im Erdblock geborgen. In der hauseigenen Restaurierungswerkstatt legte Wolff nun Scherbe für Scherbe frei. So habe sie zumindest einen Eindruck davon bekommen können, welches Stück an ein anderes passe.
Auf einem Tonkörper-Rohling hat sie die Scherben der größten Urne zusammengefügt. Auf einem Tisch liegen jedoch noch viele kleine Stücke - vielleicht ergeben sich in der weiteren Bearbeitung für diese noch Ansatzpunkte. „Die Zusammensetzung ist sehr zeitaufwändig", sagt die Restauratorin. In einem nächsten Schritt folgt die Rekonstruktion aus Gips mit den Originalstücken. Diese muss sie vom Ton-Rohling wieder abnehmen, um dem Gipsabdruck anfertigen zu können. Dann werden die Scherben in den Gipsabdruck eingefügt. „Mein Ziel ist es, dass Gefäß komplett zu ergänzen", so Wolff. An Fehlstellen werde sie deswegen auch die Muster nachbilden.
Restaurierungswerkstatt im Archäologischen Museum Krefeld: Restauratorin Eileen Wolff mit einer im Block geborgenen Urne.
Funde aus der Bronzezeit sind ungewöhnlich
Belege für die frühe Eisenzeit zwischen 750 und 450 vor Christus finden sich auf dem Stadtgebiet und in der Region öfter. „Aber nicht für die Bronzezeit und für die gleiche Kultur. Das ist absolut außergewöhnlich", sagt Schletter. Die letzten Nachweise in Krefeld stammen aus der Zeit vor oder kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass die Reste dieser fünf Urnen die Jahrtausende überstanden haben und gefunden wurden, gleicht einem kleinen Wunder. „Wir sind immer früh in die Bauplanungen einbezogen. Die Zusammenarbeit mit dem Zentralen Gebäudemanagement der Stadt läuft außerordentlich gut", betont Schletter. Diese Unterstützung sei für seine Arbeit sehr wichtig. Auf einer Karte zeigt er die wenigen mit roten Punkten markierten Fundorte, die meist in Rheinnähe liegen. Die nun entdeckten Gräber reihen sich ein in die Niederrheinische Grabhügelkultur der Spätbronze-Zeit und Frühen Eisenzeit. Die Verbrennung von Verstorbenen war ein charakteristisches Bestattungsritual. Die Beisetzung des Leichenbrandes erfolgte in Urnen mittig in einem Hügelgrab. Links und rechts des Niederrheins gab es Tausende solcher Grabhügel. Im Flachland waren diese kleinen Erhebungen als Landmarken gut erkennbar. Die meisten sind heute eingeebnet oder überbaut.
Detailaufnahme von den gefundenen Scherben.
Das Areal dieser nun entdeckten Hügelgräber nutzten Menschen in Gellep-Stratum in den Jahrhunderten als Acker, Obstwiese, und im 20. Jahrhundert wurde dort eine Tankstelle gebaut. „Ich vermute, dass dort einmal rund 20 Gräber angelegt worden waren", so der Archäologe. Unweit des aktuellen Fundplatzes, 300 bis 400 Meter entfernt, wurden in den 1930er-Jahren etwa 60 solcher Hügelgräber am Heidberg in Gellep-Stratum entdeckt - sie liegen alle an einem historischen Weg. „Wir wissen von der damaligen Gesellschaft sehr wenig", sagt Schletter. Es waren wohl Bauern. Die Menschen lebten und arbeiteten in sogenannten Wander-Siedlungen. Das heißt, eine kleine Anzahl von Hofhäusern „wanderte" von Generation zu Generation und als Gemeinschaft von einer Stelle zur nächsten. Die lokale Identität erwuchs wohl aus der Kontinuität der Gräber an einem Ort. „In den Grabhügeln wohnen die Toten", so der Archäologe. Sie dienten so auch als Begründung, wem das Land gehöre.
Restauratorin Eileen Wolff und Stadtarchäologe Dr. Hans-Peter Schletter bei der Zusammensetzung der größten gefundenen Urne mit bislang unbekannter Verzierung.
Urnenstechen als bürgerliches Vergnügen
Bei der Bergung der Urnen fiel dem Archäologen auf, dass er wohl nicht der erste ist, der sich für diese interessiert. „Mir sind helle Stellen aufgefallen, die später wieder verfüllt wurden", sagt Schletter. Diese seien ein Indiz auf das sogenannte „Urnenstechen" - ein durchaus beliebtes Vergnügen des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Die seinerzeit noch gut erkennbaren Grabhügel wurden in der Mitte ausgeschachtet. Ein gut halber Meter breites Loch wurde in den Hügel gegraben. „Dabei wurden die Urnen zerstört. Aber mitbeigesetze Gefäße können durchaus im Stück geblieben sein", so Schletter. Spuren von solchen Beigefäßen haben sie jetzt nur anhand von wenigen Scherben nachweisen können - das untermauere die Theorie. Auch diverse Bronzenieten und vermutlich der Teil eines Armringes haben sie gefunden. „Für unsere Region und diese Zeit waren es schon reich ausgestattete Gräber", meint Schletter. Eine nähere Untersuchung der Leichenbrände stehe noch aus, vielleicht ergeben sich hier weitere Erkenntnisse. Schletter und Wolff werden in den kommenden Wochen so noch viele Stück des Puzzles zusammenfügen.
Unbekannte Verzierung aus der Bronzezeit.