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Gebärdensprachkurse an der VHS: Lautlos und leidenschaftlich

Veröffentlicht am: 19.05.2025

Corinna Mathias gibt seit 2021 als zertifizierte Dozentin Kurse in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Corinna Mathias gibt seit 2021 als zertifizierte Dozentin Kurse in Deutscher Gebärdensprache (DGS). Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Das Getöse der spielenden Kinder auf dem Von-der-Leyen-Platz rauscht durch die geöffnete Fensterfront in Raum 203 der Volkshochschule (VHS) Krefeld. Weil gerade ein neuer Papst gewählt wurde, läuten dazu die Glocken der Dionysiuskirche. Plötzlich prasselt auch noch das Martinshorn eines vorbeibrausenden Rettungswagens in die wilde Geräuschkulisse dieses lauwarmen Donnerstagabends hinein. Ansonsten aber ist es still in Raum 203. Obwohl sich gerade acht Menschen ausgiebig und leidenschaftlich unterhalten. Sie lernen die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Kursleiterin Corinna Mathias taxiert die Übungen ihrer Kursteilnehmenden äußerst genau. Sie assistiert, wenn Vokabeln fehlen, und spendet auffallend viel Lob, wenn Konversationen gelingen.

Während die acht Erwachsenen zwischen Anfang 30 und Mitte 60 hören können, ist ihre Dozentin seit der Geburt taub. Sie trägt Hörgeräte und kommuniziert in zwei Sprachen. Mit der deutschen Lautsprache ist sie aufgewachsen, zur Schule und lange Zeit durchs Leben gegangen. Erst 1993 hat Corinna Mathias, damals war sie 23 Jahre alt, die Deutsche Gebärdensprache gelernt, ebenfalls über einen VHS-Kurs. Während der Corona-Pandemie hat sie sich berufsbegleitend zur zertifizierten DGS-Lehrerin ausbilden lassen. Seit 2021 unterrichtet sie an der Krefelder Volkshochschule.

Grammatik und Satzbau unterscheiden sich von Lautsprache

Hinter den acht Teilnehmenden in Raum 203 liegt eine dreiwöchige Kurspause. Das bemerken sie sofort, auch wenn sie den Fortgeschrittenen-Kurs bilden. Immer wieder hakt es anfänglich, wenn sie eine bestimmte Gebärde bilden möchten. Weil sie aber nunmehr in ihrer elften Sitzung und mithin ein intaktes Gefüge sind, helfen sie sich gegenseitig. Nach wenigen Minuten sind sie in ihre Routine zurückgekehrt. Dennoch: Die Gebärdensprache fordert ein beträchtliches Beobachtungs- und Auffassungsvermögen ab. Die Grammatik ist eine andere, viele Gebärden ähneln sich in ihrer Ausführung, haben aber inhaltlich gänzlich verschiedene Bedeutungen. Der Satzbau unterliegt festen Regeln. Die Verbform steht meist am Ende des Satzes, Zeit- und Ortsangaben am Anfang. Die Konjunktion „und" wird in der Deutschen Gebärdensprache dagegen häufig gestrichen.

Die Motive der acht Teilnehmenden, sich für den Kurs angemeldet zu haben, sind vielschichtig. Manche haben selbst eine Höreinschränkung, andere gehörlose Menschen in ihrem familiären oder Bekanntenkreis. Einige hingegen interessieren sich schlicht für diese Form der Fremdsprache oder benötigen sie für den Beruf. Bei Lara Klinke zum Beispiel löste ein Erlebnis im Supermarkt den Entschluss aus, sich der Gebärdensprache anzunähern. „Ich habe erlebt, wie eine völlig verzweifelte Dame im Supermarkt Hilfe benötigte, aber nicht mit den Angestellten kommunizieren konnte", sagt die 32-Jährige. Auch in ihrem Beruf als Veterinärin hat sie regelmäßig Kontakt zu gehörlosen Tierbesitzern. „Die Gebärdensprache", meint sie, „sollte deutlich häufiger erlernt werden, um gehörlose Menschen im Alltag zu inkludieren."

Satzkonstruktionen werden in Übungen vereinfacht

In den vorletzten Termin dieses Kurses steigt Corinna Mathias mit einer Gebärdenübung ein, die gewöhnliche Fragen zur vergangenen Urlaubsreise simulieren soll. Eine Teilnehmerin übersetzt die erste Frage, die jemand anderes wiederum beantwortet. Mit jeder Frage steigt der Schwierigkeitsgrad. Von „Wie war das Wetter?" hat es die Gruppe wenig später mit der ungleich komplexeren Frage „Warum reisen Sie lieber mit dem Flugzeug als mit dem Auto?" zu tun. Die acht Teilnehmenden müssen sich arg konzentrieren. Zunächst versuchen sie, das Satzkonstrukt zu simplifizieren. Dazu schreiben sie sich einen Satz so auf, wie sie ihn in der Lautsprache formulieren würden und reduzieren ihn auf die wesentlichen Wörter.

Bei Lernübungen schreiben sich die Teilnehmenden Sätze häufig erst auf, um sie anschließend mit Gebärden zu übersetzen. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Bei Lernübungen schreiben sich die Teilnehmenden Sätze häufig erst auf, um sie anschließend mit Gebärden zu übersetzen. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Während Corinna Mathias und ihre Studierenden die Gebärden zeigen, sprechen sie das gemeinte Wort lautlos, aber deutlich mit ihren Lippen nach. Das vereinfacht das Gespräch. Die nonverbale Kommunikation wird stark vom Mundbild und von Bewegungen, hauptsächlich aber durch die Hände gesteuert. „Schwierig wird es vor allem dann, wenn man sich Begriffe merken muss, die man im Alltag nicht andauernd nutzt, zum Beispiel Bundesländer, Städte oder Länder. Auch die Grammatik unterscheidet sich sehr zur Lautsprache", sagt Kristine Heinzmann. Die 49-Jährige arbeitet als Kindertagespflegeperson und möchte die Gebärdensprache als zusätzlich qualifizierte Inklusionsfachkraft in ihrem Beruf anwenden.

Deutsche Gebärdensprache ist selbstverständlicher Lebensbegleiter

Für Corinna Mathias ist die Deutsche Gebärdensprache nicht nur ein selbstverständlicher Lebensbegleiter, sondern auch ihre Lieblingssprache geworden. „Sie ist eine eigenständige Sprache, die visuelle und nonverbale Kommunikation nutzt. Ich habe große Freude daran, die Deutsche Gebärdensprache zu unterrichten", sagt die 55-Jährige. Sie ist mit einem schwerhörigen Mann verheiratet. Sie sind Eltern zweier Töchter, die hören können. Die Deutsche Gebärdensprache ist seit 2002 gesetzlich anerkannt. Sie ist keine künstliche Sprache, hat keinen Erfinder, sondern hat sich über viele Jahre hinweg unter Gehörlosen weiterentwickelt und setzt dies, wie alle Sprachen, andauernd fort. Die meisten internationalen Lautsprachen haben ihre eigenen Gebärden. Schon im deutschen Sprachraum der DGS gibt es merkliche Unterschiede und Dialekte zwischen verschiedenen Bundesländern. Allein das Wort „Hund" lässt sich in Deutschland mit vier verschiedenen Gebärden darstellen.

Der Fortgeschrittenen-Kurs in der Krefelder VHS endet in diesen Tagen. Für Lara Klinke und Kristine Heinzmann steht bereits fest, dass sie sich für das nächste Semester ab Herbst anmelden möchten. Für das Problem der langen Pause haben sie sich Hilfsstützen gesucht. „Um die Sprache besser zu verinnerlichen, sehe ich mir Fernsehsendungen über die Mediathek häufig in simultaner Gebärdensprache an", sagt Lara Klinke. Kristine Heinzmann integriert die Gebärdensprache mittlerweile in ihre Arbeit mit den Kindern, indem sie Lieder und Tätigkeiten mit Gebärden begleitet. Am liebsten, sagt sie, würde sie gerne Kontakt mit gehörlosen Menschen knüpfen, damit sie diese besondere Sprache häufiger anwenden könne.

Im aktuellen und auch kommenden Semester bietet die Volkshochschule Krefeld drei Gebärdensprachen-Kompaktkurse in unterschiedlichen Niveaustufen an. Sie staffeln sich auf jeweils zwölf Termine pro Semester. Es gibt einen Kurs für Anfänger und zwei Kurse für Fortgeschrittene. Die Kosten liegen jeweils bei 176 Euro. Am 8. September bietet die VHS einen Kennenlernabend für Interessierte an. Für Rückmeldungen steht Programmbereichsleiter Wojciech Cichon unter Telefon 0 21 51 / 86 26 58 und via E-Mail an wojciech.cichon@krefeld.de zur Verfügung.