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Alte Personenwaage des Stadtbads von Freischwimmern restauriert

Veröffentlicht am: 30.03.2021

Seit 2003 fristete sie ein trostloses Dasein auf dem Betriebshof des Fachbereichs Sport und Sportförderung: Eine alte, sehr mächtige Personenwaage, die jahrzehntelang ihren Dienst im Wandelgang des Stadtbads an der Neusser Straße verrichtete. Egal, ob eine junge Frau ihr Gewicht überprüfen wollte oder ein rüstiger Rentner, ob unter- oder übergewichtig, dick oder dünn: Nach Einwurf eines Zehn-Pfennig-Stücks spuckte die Waage, manchmal recht unbarmherzig, eine kleine Karte samt Gewicht und Datum aus. Die eigenen Pfunde, schwarz auf weiß - an diesem Ergebnis führte kein Weg vorbei, es ließ sich schier nicht wegdiskutieren.

Die restaurierte Personenwaage befindet sich dank Dieter Porten vom Fachbereich Sport und Sportförderung und Rainer Scharl vom Verein Freischwimmer wieder im Stadtbad an der Neusser Straße. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. BischofDie restaurierte Personenwaage befindet sich dank Dieter Porten vom Fachbereich Sport und Sportförderung (links) und Rainer Scharl vom Verein Freischwimmer wieder im Stadtbad an der Neusser Straße.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof

Als im Stadtbad 2003 schließlich die Lichter ausgingen, verlor auch die Waage ihre Bestimmung. Schon die Jahre davor war sie mehr Relikt einer längst vergessenen Zeit als verlässlicher Körperkontrolleur. An ihrer scheinbar letzten Ruhestätte stand sie dann weitere Jahre, stoisch Wind und Wetter trotzend. Hier und da platzte zwar Lack ab, und Efeu rankte sich um sie, so richtig anhaben konnte ihr aber nichts. Erst jetzt, wo Platz auf dem Betriebshof gemacht werden musste, schien ihre letzte Stunde geschlagen. Doch genau in diesem Moment kam Dieter Porten ins Spiel. Der Bäderleiter der Stadt rettete das historische Stück vor dem schon sicheren Ende auf dem Schrottplatz und fand eine Folgenutzung, die die Waage sogar zurück an ihre alte Wirkungsstätte führte: Der Verein Freischwimmer Krefeld, der sich rührig um die geschlossene Badeanstalt im Herzen von Krefeld kümmert, nahm sich ihrer an. „Als ich von der alten Waage hörte, war klar, dass sie ‚reanimiert' werden musste. Wer, wenn nicht die Freischwimmer, hätten das machen können", sagt Porten, der vier Kollegen benötigte, um das rund 200 Kilo schwere Gerät zurück an die Neusser Straße zu hieven.

Rainer Scharl und Oliver Hoppe engagieren sich im Verein ehrenamtlich - ursprünglich, um Besuchergruppen durch das einst prachtvolle Bad aus der Kaiserzeit zu lotsen. Genau das ist aufgrund der Corona-Pandemie nun schon aber seit über einem Jahr nicht mehr möglich. Da also etwas freie Zeit übrig war, wurde das Projekt Personenwaage sofort in Angriff genommen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, das gute Stück ist wiederhergerichtet, wenn auch mit ein, zwei kleinen Schönheitsfehlern, wie Scharl beschreibt: „Sie stempelt beharrlich immer das gleiche Datum, den 24. Juni 1953, da leider die mechanische Uhr im Kopf des Automaten fehlt. Das Betätigungsgestänge zur automatischen Einstellung des Datums ist allerdings noch vorhanden. Ähnlich eines Datumsstempels wurden hier täglich die Ziffern weitergestellt. Nur gegen Monatsende musste per Hand eingegriffen werden, da die Uhr nicht feststellen konnte, wie viele Tage der Monat hat."

Die restaurierte Personenwaage. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. BischofDie restaurierte Personenwaage.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof

Scharl und Hoppe arbeiteten sich derart in die Materie ein, dass sie bei ihren hoffentlich bald wieder möglichen Führungen am künftigen Standort der Waage einen extralangen Stopp einrichten können. So fanden sie heraus, dass das gute Stück nicht zur Eröffnung des Bades aufgestellt wurde, sondern erst nach 1927. Denn bis dahin wurde das Wort Waage nur mit einem „a" geschrieben, das Krefelder Exemplar, hergestellt von der Apparate- und Waagenbaugesellschaft P. Klein & Co in Düsseldorf, trägt jedoch die Beschriftung „Personen-Waage" mit doppeltem „a". Und da ein Eichmaß fehlt, das erst ab 1935 verpflichtend einzubauen war, muss sie nach 1927 und vor 1935 aufgestellt worden sein - übrigens als sehr rentables Objekt, wie eine damalige Werbeanzeige für das 1.300 Deutsche Mark teure Objekt offeriert: „Die Automaten, die alle anderen Warenautomaten überlebt haben, sind die Personenwaagen. Warum? Weil das Ticket nur ein Viertel des eingeworfenen Geldes kostet und so nicht den größten Teil vom Gewinn schluckt. Eine sichere und schnelle Rentabilisierung des investierten Kapitals. Unsere super-automatischen Waagen garantieren Ihnen einen pannenfreien Betrieb für Jahre. Lassen Sie sich beraten, bevor Sie Ihr Kapital in Waren- oder Spielautomaten anlegen", heißt es dort.

Auf diesen Kärtchen bekommen die Nutzer der Waage ihr Ergebnis mitgeteilt. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. BischofAuf diesen Kärtchen bekommen die Nutzer der Waage ihr Ergebnis mitgeteilt.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof

Die Waage selber funktioniert ohne Strom. Sie zieht sich selbst durch das Gewicht der Person auf, die auf die Wiegeplatte steigt. Bei Kindern muss die Wiegeplatte durch einen Erwachsenen zunächst herunter getreten werden. Nun ist der Stillstand der Waage abzuwarten. Er wird über eine rot-weiße Fächerscheibe angezeigt. Nach Einwurf des Groschens macht es laut „Rumms". Eine Wiegekarte saust in den Ausgabeschacht, und neben dem Datum ist das Gewicht der gewogenen Person aufgedruckt. „Nicht selten war auf der Rückseite Werbung aufgedruckt, zum Beispiel ‚Besucht die Brause-, Heil-, Schwimm und Wannenbäder der Stadtbäder Krefeld'. In anderen Fällen gab es eine Tabelle mit dem Idealgewicht in Bezug auf die Körpergröße oder auch Sammelserien mit unterschiedlichen Motiven. Hier sollte ein weiterer Anreiz geschaffen werden, die Waage zu benutzen", berichtet Scharl, der sich bei aller mechanischen Tüftelei zusammen mit Oliver Hoppe aber auch um die Verbrauchsteile kümmern musste.

Wiegekarten sind „Edmondsonsche" Fahrkarten

Nach eingehender Recherche war klar, dass es sich bei den Wiegekarten um „Edmondsonsche" Fahrkarten gehandelt haben muss. Die kleinen Kartonstreifen (1 3/16 Zoll x 2 1/4 Zoll) kommen aus der Welt der Eisenbahnfahrkarten, die bis 1980 in Gebrauch waren - und heutzutage natürlich kaum noch produziert werden. Bei den Instandsetzungsbemühungen fiel zudem auf, dass auch die Dicke der Pappkarten für einen reibungslosen Betrieb nicht unerheblich ist. Ein weiteres Problem stellte schließlich das Farbband dar. Scharl: „Die Zeiten der mechanischen Schreibmaschine sind ebenfalls Geschichte. Normale Farbbänder zu bekommen, stellt zwar keine Schwierigkeit dar, aber sie sind zu breit für unsere Waage. Wir mussten lange suchen, fanden dann aber ein Spezialfarbband in einer Kassette, das eigentlich für Bon-Drucker gedacht ist."

Und so fügte sich ein Puzzlestück ins nächste, bis die alte Waage wieder betriebsfertig war. Noch steht sie im Gewerkeraum des Bades, doch irgendwann wird sie wieder dorthin zurückkehren, wo sie Generationen von Schwimmern begrüßte: Im Wandelgang des altehrwürdigen Stadtbades.

 

 

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