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Spielplatzgeschichten

Es gibt allerhand zu erzählen von den unterschiedlichen Spielplätzen, viele kleine Geschichten, unterhaltsam, teils zum Schmunzeln, teils denkwürdig. Folgende Erlebnisse wurden von Brigitte Plehn, Patin auf der Wichernstraße / Schulzentrum Fischeln, geschildert. Die beiden Geschichten vom Einsatz der Spielplatzpatin Renate Wanraths auf dem "Albrechtplatz" wurden ebenfalls von Frau Plehn verfasst.

Über weitere Geschichten aus der Feder von Spielplatzpatinnen und -paten freuen wir uns sehr!

Das ABC des Abschiednehmens

Den Rumänen traf ich morgens in der Frühe auf dem noch stillen Spielgelände. Der Tau lag noch auf dem Gras und auf den ersten braunen Blättern, die die stattlichen Esskastanienbäume zusammen mit ihren stacheligen Früchten nun mit jedem Tag reichlicher zu Boden fallen ließen.
Ich hatte unseren Garten durch das kleine Gartenpförtchen verlassen und mich die wenigen Meter durchs Gebüsch geschlagen - mein Geheimweg, wie ich den kleinen Kindern immer erzähle - und stand damit überraschend für den älteren Herrn auf der Wiese des Spielplatzes. Als er mich sah, war er sichtbar verlegen. Nicht jeder sammelt gern in Gegenwart anderer Esskastanien. Um dem Mann seine Verlegenheit zu nehmen, sprach ich ihn mit einer Floskel an. „Und, sind viele Kastanien vom Baum gefallen? Morgens findet man, so habe ich die Erfahrung gemacht, die schönsten und die meisten." Dankbar stimmte er mir zu. Dies war der Anfang eines guten Gesprächs in dem wir beide über das Leben, wie man es meistert, sprachen und ich meine Achtung vor all den Menschen zum Ausdruck brachte, die sich unter schwierigen Verhältnissen redlich durchs Leben schlagen.
Lange standen wir beide da, philosophierten über das Leben und genossen unser Gespräch. Doch alles hat seine Zeit und so lief auch die Zeit unseres Gedankenaustausches ab. Deshalb reichte ich meinem Gegenüber die Hand zum Abschied. Er ergriff sie, doch anstatt sie in herzlicher Weise zu schütteln - wie ich vermutet hatte - beugte er sich über sie und berührte sie zart mit seinen Lippen. Leicht erstaunt schaute ich in sein Gesicht. Mit einem Lächeln erklärte er mir. „Wir in Rumänien bedanken uns nach einem guten Gespräch mit einem Handkuss zum Abschied. Das ist Tradition." Ja, diese Gentlemantradition gefiel mir.

Zwei Tage später hörte ich ein Kinderstimmchen vom Spielplatz bis in unseren Garten. Es beschwerte sich beim Papa, dass kein weiteres Kind zum Spielen auf dem Platz sei. Diesem Kind kann geholfen werden, dachte ich, holte meinen Schlüssel zum Spielecontainer, ging durch den Geheimgang auf den Platz und öffnete dem Kind den Betoncontainer mit Schätzen wie Sandspielzeug, Baggern in jeder Größe und einiges mehr. Dankbar begann der junge Vater mit mir ein Gespräch - über moderne Kindererziehung, über Grenzen setzen und Vertrauen haben, über die Kriege als die Härten der Zeit unserer Eltern und Großeltern und über die Vereinsamung und das Alleingelassensein junger und alter Menschen als die Härte der Gegenwart. Dann kam auch hier der Abschied. „Ich hätte nicht gedacht, hier ein so gutes Gespräch zu führen.", sagte der junge Mann zum Abschied. „Danke." Dieses Kompliment freute mich und so streckte ich meine Hand aus für ein Aufwiedersehen und um mich ebenfalls zu bedanken. Der junge Mann jedoch übersah meine Hand, er nickte nur, lächelte und ging, während ich meine Hand verwundert sinken ließ. Ein bisschen weh tat dieser Abschied schon.

Bereits am Nachmittag desselben Tages sprach ich einen türkischen Vater an, ob ich für seine zwei Kinder etwas tun könne, die etwas lustlos auf dem Platz standen. Zunächst war er misstrauisch und wollte mir nicht so recht zuhören. Doch als ich für seine Kinder den Spielecontainer öffnete und diese begeistert zugreifen konnten, kam er ins Reden. Das Leben in Deutschland sei nicht immer leicht für sie als Türken. Sie müssten mit vielen Vorurteilen kämpfen. Natürlich gäbe es auch viel Gutes. Das Projekt der Stadt, Spielplatzpaten für die Kinder einzusetzen, sei ihm unbekannt, aber er fände es richtig gut. Freimütig erzählte er von seiner Familie, seinen Eltern, um die er sich auch noch kümmerte, seinen Kindern, die sein Stolz seien. Irgendwann war dann meine Zeit zum Abschied nehmen gekommen. Wir hatten ein recht persönliches Gespräch geführt, von gleich zu gleich, ohne Ansehen der Unterschiede zwischen Christ und Moslem und gleichberechtigt zwischen Mann und Frau - so mein Eindruck. Um meine Freude darüber zu zeigen, hielt ich ihm demonstrativ meine rechte Hand hin. Er ergriff sie - aber offensichtlich nur im Reflex - denn kaum berührten sich unsere Finger, zuckte er entsetzt zusammen, schleuderte meine Hand von sich, packte seine Kinder an den Jackenärmeln und floh mit ihnen - ohne mich auch nur einmal anzusehen - vom Spielplatz.
Dieser Abschied war bitter. Er war bitter, weil ich ihn nicht verstand. Mühsam erinnerte ich mich an das, was eine türkische Studentin mal sagte: „Kein männlicher Moslem reicht einer fremden Frau die Hand, ein "echter" Moslem macht es einfach nicht."

Während ich noch etwas mitgenommen im Kleinkindsandkasten stand, kam mir ein Gedanke, der meine Laune schlagartig änderte: Ein Handkuss, ein Kompliment und eine Flucht vor einem Händeschütteln waren das Ergebnis der Spielplatzbesuche dieser Woche - ich legte sie zu den anderen Erfahrungen in meinem Erfahrungsschatz, Rubrik: Abschied nehmen auf Multikulti.

(Brigitte Plehn, Spielplatzpatin)

Der Schlüssel zum Paradies

„Bagga, Bagga", ein empörter, kleiner Mensch von vielleicht zwei bis drei Jahren kommt auf mich zu, als ich den Spielplatz betrete. Den kleinen Arm streckt er Richtung Spielecontainer und es ist klar, dass er mir soeben den Auftrag erteilt hat, dieses Kinder-Paradies aufzuschließen. Neben Baggern lagert die Stadt hier alles, was ein kleiner, aber auch ein etwas größerer Mensch zum glücklich sein braucht - und das Beste ist, den Schlüssel zu diesem Paradies habe ich.

Aber wo? Siedend heiß fällt mir ein, dass ich dieses Teil kürzlich von meinem Schlüsselbund genommen habe. „Ich muss erst nach Hause und den Schlüssel holen, willst du mit?", frage ich daher den Kleinen. Dieser zögert einen Moment, reckt dann sein Ärmchen und fischt nach meiner Hand. „Doch erst müssen wir die Mama fragen, ob du darfst?", erkläre ich ihm und drehe ihn Richtung Mutter. Diese sitzt mit anderen Müttern auf einer der Bänke und nickt jetzt lächelnd.
„Dann mal los. Wenn wir durch meinen Geheimgang gehen, ist es nicht weit.", sage ich geheimnisvoll und mit gedämpfter Stimme zu dem Jungen. Mit den Fingern an den Lippen schleichen wir - weil geheimnisvoll so schön aufregend ist - einen Trampelpfad durch ein lichtes, aber hohes Gebüsch mit ein paar Bäumen. Nach etwa 20 Schritten stehen wir vor unserem Gartentürchen und laufen dann über den Rasen ins Haus. Mit einem Schlüssel, den ich für den richtigen halte, tauchen wir wenig später am Container wieder auf. Drei weitere Knirpse warten bereits davor, um das Öffnen nur ja nicht zu verpassen. Ich probiere den mitgebrachten Schlüssel, während fast der gesamte Spielplatz erwartungsvoll zuschaut. Doch ich habe Pech. Der Schlüssel weigert sich zu passen. Also noch einmal zurück ins Haus - diesmal mit vier kleinen Jungen. Mein Flugzeugnachbar, wie ich ihn nenne, steht in seinem Garten und betrachtet die Jungenschar. „Alles meine!", behaupte ich lachend mit einer Geste zu den vier Zwei- bis Vierjährigen. „Bei Ihnen wundert mich nichts mehr.", wundert sich dennoch mein Flugzeugnachbar.
Wundern tun sich auch die sieben Mütter, als auch nicht einer der vier mitgebrachten Schlüssel bereit ist, das Vorhängeschloss zu öffnen. Doch ich gebe noch nicht auf und neun Kinder auch nicht. Sie alle wollen suchen helfen und laufen bereits los. Bevor ich im Geheimgang verschwinde, rufe ich den jetzt kinderlosen Müttern zu: „Ich komme wieder." Dann muss ich mich beeilen, denn ich habe den Verdacht, dass die Neun bereits mein Haus gestürmt haben und dieses womöglich auseinander nehmen.
So ist es dann auch und ich beschließe, das nächste Mal wieder bescheiden zu sein und mich mit den Kindern zufrieden zu geben, die mir wirklich gehören.

Den Schlüssel haben wir an dem Tag nicht mehr gefunden, doch glücklicherweise gibt es noch vier weitere Spielplatzpatinnen mit je einem Schlüssel zum Paradies.

(Brigitte Plehn)

- und er beißt doch! - Erfahrungen einer Spielplatzpatin

Und wer beißt doch? - Der Hund!
Doch nicht um den so genannten Kampfhund geht es hier. Es ist auch nicht vom zuverlässig bissigen Wachhund die Rede, der laut Blechschild auf vielen Anwesen seinen Dienst tut. Gemeint sind hier Fiffi, Bello und dergleichen kinderliebe, friedfertige und verspielte Freunde des Menschen, deren Frauchen und Herrchen stets beteuern: "Der tut nichts."

Ich, als Spielplatzpatin, habe schon mehrfach vor solch größeren oder kleineren „Der-tut-nichts-Hunden" gestanden und habe die kopfschüttelnden Hundehalter gebeten, ihren kinderlieben Vierbeiner vom Spielplatz zu nehmen und außerhalb des Spielgeländes anzuleinen. Trotz dieser Mahnung an Hundeliebhaber hatte auch ich so manches Mal Zweifel an der Realitätsnähe der Verordnung, die Hunde auf dem Platz nicht duldet, bis zu jenem Sonntag, als ich bei meinem kleinen Neffen auf dem Spielplatz die Lust auf eine Seilbahnfahrt wecken wollte.

Bevor mein Neffe startete, forderte ich einen kleinen Jungen noch zu einer letzten Fahrt auf. Freudig sauste dieser auf dem Seilbahnteller los. Freudig los sauste auch ein großer Hund, der sich von mir bis dahin unbemerkt mit seinen menschlichen Begleitern auf dem Platz aufgehalten hatte. Zu meinem Entsetzen und dem der anwesenden Eltern sprintete der Hund auf den Seilbahn fahrenden Jungen zu, sprang an ihm hoch und biss ihn mehrfach.

Das Ende vom Lied war: für das verletzte Kind die Notaufnahme eines Krefelder Krankenhauses, für den erstaunten Hundeführer eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung und für mich die Erkenntnis - er beißt doch, der kinderliebe, friedfertige und verspielte Freund des Menschen.

Treffe ich jetzt Hunde auf dem Spielplatz an, frage ich Frauchen und Herrchen, ob ich ihnen eine Geschichte erzählen darf - eine Geschichte von einem Seilbahn fahrenden Jungen und einem netten Hund, der lediglich seinem uralten Jagdtrieb gefolgt ist. Doch zum Glück, so berichte ich, gäbe es eine Regelung, die den Zweibeinern den Spielplatz und den Vierbeinern die Hundewiese zuspräche - und dies nicht nur zum Schutz der Kinder, sondern auch zum Wohl von Hund und Hundehalter.

(Brigitte Plehn)

Kurz vorneweg gesagt...

Auf „meinen" Spielplatz geht niemand freiwillig, denn dazu hat dieser zu viele Probleme. Man muss schon in diesem Stadtviertel aufwachsen oder aufgewachsen sein, um ihn zu mögen. Und ich mag ihn, denn ich lebe hier schon seit meinem zweiten Lebensjahr. Viele Stunden meiner Kindheit habe ich auf diesem Spielplatz verbracht, mit den anderen Mädchen gespielt oder mich mit den großen Jungs gestritten. Später saß ich als Mutter mit meinen Kindern in seinen Sandkästen und habe Sandkuchen in rauhen Mengen gebacken. Und heute?... Heute bin ich ehrenamtlich und im Auftrag der Stadt als Spielplatzpatin auf ihm und für ihn unterwegs.

Eigentlich sind es nicht wirklich der Platz und seine Spielgeräte, die mir am Herzen liegen. Vielmehr sind es die Menschen, die es hierhin verschlägt. Schaut man sie etwas genauer an, die Kinder aus allen Nationen, die jungen Männer ohne Ausbildung und ohne Arbeit, die Mütter, die manchmal selbst noch fast ein Kind sind, so weiß man, dass in meinem Viertel nicht jeder auf der Sonnenseite des Lebens steht.

Für diese Menschen die Sonne scheinen zu lassen, ist manchmal schrecklich schwer und manchmal so leicht. Von ihnen und von den kleinen, aber für mich bedeutenden Ereignissen rund um „meinen" Spielplatz will ich nun erzählen.

Nur mit der Ruhe...

Wie ich Spielplatzpatin geworden bin, weiß ich gar nicht mehr. In meiner Erinnerung bin ich schon immer auf den Spielplatz gegangen - zuerst als Kind, dann als Mutter und jetzt als Patin. Mein Spielplatz ist kein Spielplatz wie der beispielsweise an der Hummelwiese - problemlos, sauber, geliebt.

Hier bei mir haben nicht nur die Erwachsenen mit den Schwierigkeiten des Alltags zu kämpfen, sondern bereits die Kinder. Es gibt die gehüteten und betreuten Jungen und Mädchen, aber auch solche, die dieses Glück nicht haben. Zum Beispiel kann man beobachten, dass Kinder morgens oder mittags von einem Auto zum Spielplatz gefahren, am Sandkasten abgesetzt und gleich verlassen werden. Ohne Skrupel fährt das Auto gleich darauf weg und das kleine Kind bleibt über Stunden allein und sich selbst überlassen. Oft taucht das Auto erst abends wieder auf. Das Kind wird auf den Rücksitz gezogen und wieder ist ein Tag vorbei.

Wen wundert es, dass dementsprechend viele schwierige Kinder hier anzutreffen sind. Doch sie deswegen zu beschimpfen und abzulehnen, wie sie es vielfach erfahren, ist nicht immer gerechtfertigt. Was Anerkennung und Zuwendung erreichen können, habe ich erst neulich wieder erlebt.

Einer dieser schwierigen Kinder, ein Junge von etwa 9 Jahren, der an dem so genannten Zappelphilipp-Syndrom (ADS) leidet und häufig wie aufgezogen und immer wieder auch aggressiv auf dem Spielgelände tobt, selbst aber auch ständig Aggression und Ablehnung erfährt, ging neulich auf eine Sechsjährige zu. Ohne Ablehnung und scheinbar auch ohne Vorurteile empfing sie ihn fröhlich, denn beide spielten friedlich und bestens einen Nachmittag miteinander. Als das Mädchen am Abend nach Hause musste und auch der Junge gehen wollte, lobte ich ihn für sein Verhalten und trug ihm einen schönen Gruß an seine Mutter auf mit der Botschaft, ihr Sohn hätte sich wunderbar um ein kleineres Mädchen gekümmert.

Das sonst etwas verkniffene und aggressiv wirkende Gesicht des Jungen entspannte bei meinen Worten, ja es strahlte sogar. Dann ging der Neunjährige überraschend ruhig nach Hause. Seitdem sehe ich ihn immer wieder friedlich mit der Sechsjährigen spielen. Ihre Ruhe und ihr Vertrauen zu ihm bewirken tatsächlich, dass er selbst mehr zur Ruhe kommt. Dadurch wiederum nehmen seine Schwierigkeiten mit anderen Kindern und deren Eltern ab und als Folge auch ihr Druck auf ihn selbst. Solche Entwicklungen freuen mich und sagen mir, wenn mal wieder Probleme auf dem Platz auftauchen: „Nur mit der Ruhe...und mit Zuwendung."

(Renate Wanraths)

 

Ampullen für die Pistolenanwendung

An einem Sonntagmorgen im Mai bin ich bei meinem frühmorgendlichen Rundgang über den Spielplatz nicht allein auf dem Gelände. Auf der mir gegenüberliegenden Seite bewegen sich zwei Jungen im lichten Unterholz der Bäume und Büsche, die diese Anlage umgeben. Seit der neue Spielecontainer im Kleinkindbereich nach nur 5 Tagen aufgebrochen wurde und 6 Jugendliche versuchten, das Spielzeug wegzuschleppen, fordere ich fast jeden, sei er Kind oder Teenager, auf, einen Kennlernblick in den Container zu werfen. Damit soll die Neugier befriedigt und die bohrende Frage nach dem Inhalt dieses Betonschranks mit Stahltür beantwortet werden. Als ich mich nun mit den besten Absichten den vielleicht 9- und 10-Jährigen näher, weichen sie mir zu meiner Verwunderung aus. In den Container wollen sie in keinem Fall hineingucken. Da ich mein Angebot für verlockend halte und nicht aufhöre, zu drängen, verrät mir einer der zwei den Grund für sein abweisendes Verhalten. Die Mutter habe gesagt: „Sprich nicht mit fremden Leuten und gehe auch mit keinem Fremden mit!" Ich bin wie vor den Kopf gestoßen und erst einmal sprachlos. „Wie recht er hat! Und wie klug er ist! Und wie unbedarft ich bin!", denke ich noch immer etwas fassungslos.
Doch mit diesem Rüffel in meine Richtung ist das Eis gebrochen. Die Jungs erzählen mir, wer sie sind, was sie alles können und wie groß sie schon sind, da sie bereits in die dritte und fünfte Schulklasse gehen. Zum Abschied sage ich ihnen, wo ich wohne, damit sie zu mir kommen können, wenn sie mal die Hilfe einer Spielplatzpatin brauchen.

Leicht verwundert, wie rasch Spielplatzpatenhilfe nötig werden kann, öffne ich nur wenig später dem älteren der beiden Jungen auf sein Klingeln die Haustür. Schnell kommt er zur Sache. Er habe im Gebüsch des nahe gelegenen Gymnasiums 13 Ampullen mit brennbarem Material gefunden. „Da wollte bestimmt jemand die Schule anzünden.", beschließt er leicht aufgeregt seinen Bericht. Insgeheim muss ich über so viel blühende Fantasie lachen. Meine Lust, hier tätig zu werden, ist dennoch gering. „Dafür bin ich nicht zuständig.", will ich deshalb spontan antworten. Doch bevor der Satz raus ist, weiß ich, dass dies das Dümmste ist, was ich in dem Moment diesem engagierten Jungen, sagen kann. Also versuche ich erst einmal, Zeit zu schinden und bitte ihn, mir die Ampullen in einer Plastiktüte zum Anschauen zu bringen. Über die Länge und den Umfang der angeschleppten Flaschen mit ganz merkwürdigen mächtigen Verschlüssen bin ich tatsächlich verwundert. „Schaum für Pistolenanwendung" steht auf dem Etikett. „Für Pistolenanwendung", dieser Hinweis lässt meine inneren Alarmglocken schrillen. Ein Nachbar hat angeblich mal einen Russen mit Pistole im Halfter auf dem ansonsten leeren Spielplatz gesehen und die Polizei alarmiert. „Dies ist eine Nummer zu groß für mich.", stelle ich bei mir fest, gehe ans Telefon und wähle entschlossen die 6340. Die Polizeileitstelle meldet sich sofort und ich berichte, was es zu berichten gibt. Insbesondere betone ich die Formulierung „für Pistolenanwendung". Auch der Beamte ist im ersten Moment ratlos, doch dann lacht er, lacht immer herzlicher. Ich ahne nichts Gutes. Dies seien vermutlich Kartuschen mit Dichtungsmasse, die zur Befüllung von sogenannten Pistolen für Fugen aller Art benutzt würden, erklärt er mir amüsiert. „Dies ist definitiv kein Fall für die Polizei.", beendet er immer noch schmunzelnd unser Gespräch.
Stark gedämpft in meinem Tatendrang und mit leichtem Ärger über 13 Flaschen, die unseren begrenzten Kellerplatz noch weiter einschränken, tröste ich mich letztendlich mit dem Gedanken, zwar nichts für den Spielplatz getan zu haben, dafür aber jetzt das Vertrauen eines Jungen besitze, von dem ich nicht nur heute etwas in Katastrophenverhinderung (hier eines Großbrandes) gelernt habe, sondern vermutlich auch zukünftig einiges lernen werde. Danke, Adrian!